„Nach 10 Jahren Beratungsarbeit für geflüchtete Menschen erscheint es uns in der heutigen Zeit dringender denn je, mit Beispielen einer gelungenen Integration und gesellschaftlichen Teilhabe von Geflüchteten zu zeigen, dass sich der Einsatz für eine tolerante und offene Gesellschaft lohnt“. Mit diesen Worten eröffnete Lydia Koblofsky, Koordinatorin des Netzwerks BLEIB in Hessen II die Jubiläumsveranstaltung. Das Ziel sei, vor Augen zu führen wie und dass (Arbeitsmarkt-)Integration gelingen kann. „Und dabei zählt für uns immer der Mensch mit seiner ganz individuellen Geschichte“, so die Koordinatorin. Der Mittelhessische Bildungsverband e.V. als Träger des Netzwerkes hatte zum Jubiläum Vertreter/innen aus Flüchtlingsinitiativen, Kooperationspartner/innen wie KreisJobCenter und Arbeitsagentur Marburg-Biedenkopf, Berater und Geschäftsleitende aus dem Netzwerk aus ganz Hessen, sowie überregionale Verbände wie den PARITÄTISCHEN Hessen eingeladen.
Einen überzeugenden Einblick in eine gelungene Integration gab Ramish-Said Mohammad aus Afghanistan. Der sympathische 25-Jährige erzählt, dass er als Ratsuchender in die BLEIB-Beratung bei startHAUS Offenbach kam. Ohne Deutschkenntnisse arbeitete er sich zu einem Sprachniveau von C 1 hoch. Viele Monate habe er mit Hilfe der BLEIB-Beraterin Jana Borusko eine Arbeit gesucht – lange ohne Erfolg. Er schrieb über 100 Bewerbungen und bekam immer wieder Absagen. Schließlich unterstützte er das BLEIB-Netzwerk bei Übersetzungsarbeiten in seine Muttersprache Farsi, weil er die Zeit nutzen und etwas zurückgeben wollte. Heute, erzählt er stolz, mache er eine Ausbildung zum Elektroniker für Geräte und Systeme in einem Unternehmen zur Herstellung optischer Messtechnik. Er fühle sich dort sehr wohl und von Kolleg/innen und Vorsitzenden angenommen. Mit einem Sprichwort aus seiner Heimat resümiert er: „Heute ist es schwer, morgen noch schwerer, aber übermorgen ist dein Tag. Es gibt immer eine Lösung“. Für ihn sei es wichtig, dass Hilfe und Unterstützung von Herzen komme und bedankt sich damit bei „BLEIB in Hessen II“. Ramish ist einer von über 6.000 Ratsuchenden, die seit 2008 im Netzwerk auf dem Weg in den Arbeitsmarkt beraten wurde.
Eine individuell passende Arbeit zu haben, trägt entscheidend dazu bei, wie sich Flüchtlinge in die Gesellschaft einfügen können. Allerdings hat sich die Rolle von Arbeit für die Bleibeperspektive in den letzten zehn Jahren sehr geändert. Timmo Scherenberg, Geschäftsführer des Hessischen Flüchtlingsrats in Frankfurt zeichnete das Hin und Her der Rechtslage der vergangenen 10 Jahre nach.
Zur Zeit der Gründung des Netzwerks 2008, damals unter dem Namen „BLEIB in Mittelhessen“, lebten über 100.000 geflüchtete Menschen über viele Jahre mit Duldung und absolutem Arbeitsverbot in Deutschland. Damals ging es v.a. darum, rechtliche Hindernisse bei der Arbeitsaufnahme zu überwinden, schließlich war in den ersten 12 Monaten des Aufenthalts in Deutschland das Arbeiten komplett verboten und danach immer nur nach erfolgter Vorrangprüfung möglich, so Scherenberg. „Für Geduldete war eine Lebensplanung schier unmöglich, der Alltag war für diese Menschen überaus schwierig, da sie keinen Zugang zu staatlichen Integrationsleistungen wie Sprachkursen oder Weiterbildungen hatten. Mit den Bleiberechtsnetzwerken wurde erstmals auch eine Unterstützungsstruktur für diese Menschen flächendeckend eingeführt. “
Jetzt, zehn Jahre später, würden Arbeit und Qualifizierung als die zentralen Aspekte der Integration von Flüchtlingen überhaupt gesehen, sagt der Experte und macht hierfür auch die langjährige politische Arbeit von „BLEIB in Hessen II“ verantwortlich.
„Unsere Verbündeten bei der Beratung zur Arbeitsmarktintegration sind heute der Fachkräftemangel und die Wirtschaft, die Flüchtlinge erfolgreich aufgenommen hat. Demgegenüber stehen der Druck durch massive Rechtsverschärfungen in den letzten Jahren und der Rechtspopulismus“, so Scherenberg. Wie sieht die Zukunft für die Integration von Geflüchteten aus? „Natürlich wäre es wünschenswert, wenn unser Netzwerk überflüssig würde, Arbeitsmarktzugänge einfacher wären und sich die Politik für Bleibemöglichkeiten statt für Abschottung und Abschiebungen einsetzen würde. Aber die aktuelle Situation zeigt, dass unsere Arbeit im Sinne der Integration und Aufenthaltssicherung weiterhin wichtig bleiben wird“ so die Koordinatorin Merle Drusenbaum vom Mittelhessischer Bildungsverband e.V.